28.10.08

Goetz & Muschg & Eberle

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Rainald Goetz
klage
Schlucht 1

Suhrkamp Verlag
, Frankfurt 2008
429 S. ISBN 978-3-518-42028-7

Unverwischte Bilder, auf denen der Hass nicht das Zerstörte ist, nicht Präzision. Die Trottelwelt trotzdem nicht widerlegen, in ihr auch nicht mehr nicht miterleben, nicht schreckhaft aufflattern, nicht angstlos und nicht unabgehärtet. Nie vergessen, wie das geht. - - -

klage erschien zuerst als Blog auf der Internetseite der von Ulf Poschart für Deutschland damals gerade neu entwickelten Zeitschrift Vanity Fair.
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Adolf Muschg
Kinderhochzeit
Suhrkamp Verlag, Frankfurt 2008

580 S. ISBN 978-3-518-42032-4

Als Klaus Marbach das Kutscherhaus der Bühler-Villa im badischen Nieburg bezieht, um der Kooperation der Schweizer Industrie mit dem Nationalsozialismus auf den Grund zu gehen, wird der Verstrickung der Kriegsgeneration und diejenige ihrer Nachkommen sehr bald zu seiner eigenen, Imogen, die Letzte aus der Aluminium-Dynastie der Bühlers, protegiert seine Nachforschungen und bemächtigt sich zunehmend seiner Phantasie. - - -

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Beat Eberle
Die Welt in Hausen
Edition Isele, Eggingen 2008

176 S. ISBN 978-3-86142-420-8

Beat Eberle, geboren 1953 in Winterthur. Buchhändler und Verlagsvertreter. Lebt heute im Zürcher Unterland.

Wo sind all die Kommunarden und Hippie-Mädchen der 1960er und 70er Jahre hin? Wie war das damals, als man seine Zeit mit Sex and Drogs and Rock’n’Roll verbrachte? Wie ging die grüne Revolution weiter? Von diesen Themen handeln zahlreiche der hier versammelten Geschichten von Beat Eberle. Den Autor beschäftigen jedoch auch jene Fragen, die sich die einstigen rebellischen Jugendlichen heute stellen, wie z.B.: Was tun, wenn die letzten Illusionen nur noch Erinnerungen an damals sind oder wenn Brüche in der Biographie vieles fragwürdig erscheinen lassen?


Beat Eberle
WUT
(Die Welt in Hausen)

Meine Wut ist gross.

Ich will mich nicht rechtfertigen, aber nach einer Nacht in einer Polizei-Zelle kommt man in den Zwang sich rechtfertigen zu müssen. Wie vor einem Untersuchungsrichter-

Angefangen hatte es in meiner Jugend, als ich keine 1. Mai-Demonstration ausliess, Flugblätter vor Fabriken verteilte und in Wohngemeinschaften nächtelang über die richtigen politischen Strategien diskutierte. Irgendwann gegen Ende der siebziger Jahre war es vorbei: Ich begann Karriere zu machen, heiratete, zwei Kinder, irgendwann sogar eine Reihen-Einfamilienhaus. Alles in Butter. Das einzige, was mich irritierte, war meine Bundesfiche, die ich nach dem Fichen-Skandal angefordert hatte. Es standen fast alle meine Beteiligungen an politischen Gruppierungen und Demonstrationen bis ins letzte Detail drin, sogar die Nummer meines Postcheck-Kontos. Was fehlte, war mein Abstecher in den linken Buchhandel, als ich während zwei Jahren viele Leute der anarchistischen Szene Europas kennengelernt hatte.

Die beeindruckendste Begegnung: mit dem Verleger C., der in Schweden eine Art Suhrkamp Verlag betrieb mit den Texten der linken Debatte und Theorien; unter anderem erstmals auf deutsch, sämtlichen Texten der RAF, der „Roten Armee Fraktion“ oder „Baader-Meinhof-Bande“, wie es im Volksmund hiess. Der Mann musste in der „bleiernen Zeit“ dafür büssen. Durch Hausdurchsuchungen und Beschlagnahmungen in seinem Domizil in Südschweden entzog die schwedische Polizei, in Zusammenarbeit mit der deutschen, dem Mann seine wirtschaftlichen Existenz-grundlagen. Er versuchte, Fuss in der Schweiz zu fassen. Er engagierte mich als Fahrer, um ein Haus zu finden, möglichst ruhig und abgelegen. Er stieg standesgemäss im Baur au Lac oder im Zürichberg ab, ein damals etwa fünfundvierzigjähriger Mann, nicht sehr gross für einem Schweden, kurze graue Haare, blitzende blaue Augen, immer in einem langen schwarzen Mantel. Ich holte ihn im Hotel ab und fuhr ihn in meinem weissen VW-Käfer, Jahrgang 1966 mit „amerikanischen“ Stosstangen, durch die Region Zürich, March und Ausserschwyz, Aargau, Zürcher Oberland, bergauf, bergab. Auf manchen Fahrten hatte es noch Schnee auf der Strasse, der Auto rutschte, und er klammerte sich an den Beifahrersitz. Wir sprachen über die verschiedenen Formen von Rebellion, über die Rolling Stones, radebrechend zwischen Deutsch und English. Ein für mich alter Mann, der mich Jungen auf eine natürliche Art ernst nahm. Keine Moral. Nur zuhören und eigene Erfahrungen einbringen. Ich bewunderte ihn. Er stand da wie eine schwedische Birke und liess sich nicht unterkriegen…
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